Papst Franziskus hat bei seinem Besuch in Yad Vashem eine Meditation gehalten. Nun ist das alles andere als eine leichte Aufgabe und ein Meditationstext kann für sich durchaus die Freiheit der Poesie reklamieren - er eignet sich daher vielleicht nicht so ohne Weiteres für eine dogmatische Analyse.
Andererseits ist der Text doch auch eine öffentliche Kundgebung des Papstes. Und als solche liegt er mir etwas schwer im Magen:
„Adam, wo bist du?“ (vgl. Gen 3,9).
Wo bist du, o Mensch? Wohin bist du gekommen?
An diesem Ort, der Gedenkstätte an die Shoah, hören wir diese Frage Gottes wieder erschallen: „Adam, wo bist du?“
In dieser Frage liegt der ganze Schmerz des Vaters, der seinen Sohn verloren hat.
Der Vater kannte das Risiko der Freiheit; er wusste, dass der Sohn verlorengehen könnte … doch vielleicht konnte nicht einmal der Vater sich einen solchen Fall, einen solchen Abgrund vorstellen!Nachvollziehen kann ich den Bezug auf die Genesis-Stelle - wo, wenn nicht an diesem Ort, kann man den Fall des Menschen mit Händen greifen?
Weitaus schwieriger finde ich die Rede vom "Schmerz des Vaters" - ganz einfach, weil der biblische Text diese emotionale Zuschreibung meines Erachtens nicht hergibt.
Ganz und gar unmöglich ist in diesem Kontext die Rede vom "Verlust seines Sohnes". Natürlich ist Adam als Mensch in gewisser Weise ein "Gotteskind". Aber "Sohn des Vaters" ist nun einmal Jesus Christus und er allein. Er ist der Gezeugte - Adam hingegen ist Gottes Geschöpf und damit eben nicht "Sohn".
Gänzlich verirrt sich der Text dann im nächsten Abschnitt - hier wird für den Effekt, die Erschütterung über den Abgrund des Holocaust, ein entschieden zu hoher theologischer Preis bezahlt: Gott als Zocker, dem sein Experiment aus dem Ruder läuft. So kann man - auch in einem poetischen Text - eigentlich nicht reden, ohne den Boden des Christlichen zu verlassen.
Es ist nicht leicht, die Allmacht Gottes mit den Gräueln des Menschen zusammenzudenken - das ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Aber die einzige Lösung scheint mir zu sein, in der freien Verherrlichung Gottes durch seine Geschöpfe jenes Gut zu sehen, neben dem jede menschliche Schandtat verblasst. Auch der Holocaust ist dann (horribile dictu) letztlich "felix culpa"; glückliche Schuld, die in der Osternacht aufgesogen und gewandelt wird von der Erlösungstat des Sohnes, des neuen Adams, der kein Geschöpf ist, sondern als Kyrios die Schöpfung in die Herrlichkeit des Vaters zurückführt.
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