Montag, 27. August 2012

Blasphemie, Sakrileg und der Staat

Die Kommentare zu meinem Beitrag über Pussy Riot legen den Verdacht nahe, dass ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt habe. Mir geht es natürlich nicht um eine Verteidigung dieser Mädchen-Gruppe und ihrer Aktion in der Moskauer-Erlöserkirche. Etwas anders sieht es aus, wenn ich mir die Frage stelle, mit wem ich mich eher solidarisieren würde: mit einer politischen Protestgruppe, die sich offensichtlich an der notorischen Paktiererei der Russisch-Orthodoxen Kirche mit dem Staat reibt - oder Herrn Putin? Da neige ich dann doch zu den Mädels, weil mir dieser auf den Rechtsstaat pfeifende De-Facto-Diktator mit seinen zynischen Sprüchen ("Besser 2 Jahre Arbeitslager als Steinigung") einfach völlig zuwider ist. Protest (und sei er noch so fehlgeleitet in den Mitteln) gegen einen Unrechtsstaat hat bei mir einen Sympathie-Bonus.

Viel wichtiger aber ist die Frage, wie man es mit dem staatlichen Schutz der Religion grundsätzlich hält. Und da neige ich zur Skepsis. Alles, was an entsprechenden Verfehlungen "physisch" ist (also Hausfriedensbruch, Vandalismus, etc.) kann mit den normalen Mitteln des Strafrechts verfolgt und bestraft werden - ein Sonderrecht der religiösen Sphäre ist hierfür meines Erachtens nicht notwendig. Man könnte in diesem "Aufgeld" für die religöse Komponente - auch im Kontext der Präambel des Grundgesetzes - eine Verbeugung des Staats vor der Religion. Ein solches Argument hat etwas für sich. Betrachte ich die konkrete Gesellschaftspolitik mittlerweile faktisch aller Parteien der Bundesrepublik und die entsprechenden gesetzgeberischen Maßnahmen, komme ich zu dem Schluss, dass derlei Symbolpolitik bestenfalls Heuchelei ist, dazu angetan, das Drama des Verlustes religiöser Substanz in Gesellschaft, Politik und Staat zu verdecken. Dann kann das Resultat meiner Meinung nach nur lauten: Nein Danke, lieber Staat! Schütze meine "religiösen Gefühle" lieber durch die Verhinderung der massenhaften Kindstötung, einen wirklichen Schutz der Familie, etc. Das ist die Pflicht - über die Kür sprechen wir dann später.

Der Einsatz für besondere "Schutzräume" der Religion ist mir auch deswegen suspekt, weil ich die gelegentliche Verächtlichmachung des Christentums (zum Beispiel im Bereich der "Kunst") für ein Sekundärphänomen halte. Das eigentliche Problem besteht darin, dass eine wachsende Zahl (wenn nicht bereits die deutliche Mehrheit) meiner Mitbürger meine Religion nicht mehr VERSTEHT. Sie mit irgendwelchen Appellen an Liberalität dazu zu bringen, uns unsere "irrationalen Skurrilitäten" durchgehen zu lassen, kann die Lösung dieses Grundproblems nicht sein - eher seine amtliche Besiegelung.

Das Christentum gehört seinem Selbstverständnis nach in die Mitte der Gesellschaft. Es ist "Lumen gentium". Auf das öffentliche Strahlen dieses Lichtes auch in einer weitgehend säkularisierten Umgebung sollten unsere Bemühungen vor allem gerichtet sein.


1 Kommentar:

  1. Sowenig ich sehe, daß ich mich bei der Bewertung der Aktion zwischen politischem Protest und Religionsbeschimpfung entscheiden muss - die Aktion war beides, wenn auch der politische Gehalt eher dünn ist - so wenig sehe ich ein, daß ich mit einem der beiden Seiten - Putin hie, Pussy da - sympathisieren muss.

    Blasphemiegesetzen stehe ich auch skeptisch gegenüber, v.a. wenn sie nicht sehr restriktiv sondern im Sinne einer konkreten Religion formuliert und gehandhabt werden. Kritik an einer bestimmten Religion oder Bestreitung bestimmter Glaubensaussagen etc. darf dann nicht als Blasphemie gelten. Am Ende ist es besser, wenn jeder sagen kann, was er denkt. (Wobei man aber nicht übersehen darf, daß es in Deutschland sehr wohl Blasphemiegesetze gibt, die sich halt nicht auf Gott beziehen.)

    Ob Hausfriedensbruch nicht genug wäre? Nun ja, die Gesetze sind wie sie sind und ich sehe durchaus gute Gründe dafür, bestimmte Orte nochmal besonders zu schützen. Das mit dem "sie verstehen es nicht" stimmt zwar, aber man muß doch das eine tun, ohne das andere zu lassen. Und wer gegen Pussy Riot & Konsorten nicht vorgeht, darf sich über die nachfolgende SA nicht zu wundern.

    Warum geistern denn wieder "religiöse Gefühle" herum? Der Begriff ist Unsinn. Und bricht jemand in jemandens Haus ein, redet man ja auch nicht von Privatheitsgefühlen.

    Was der Verweis auf heutige Gesellschaftspolitik soll, verstehe ich nicht so ganz. Ja, was heute Politiker so treiben widerstrebt dem Geist und oftmals auch dem Buchstaben des Grundgesetzes. Aber warum sollte man deshalb kapitulieren und alles freigeben. Nicht die Verfassung hat sich der Politik anzupassen - ich nenne das mal den FAZ-Trugschluss (weil dieser in dieser Zeitung so regelmäßig zu lesen ist) - sondern die Politik der Verfassung. Und schließlich ist die Justiz (zumindest jenseits des Kölner Landgerichts) noch der Bereich des deutschen Staats, wo nicht alles verloren ist.

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