Dienstag, 28. August 2012

Die wirkliche Blasphemie

Im April dieses Jahres hat sich die russisch-orthodoxe Kirche dafür entschuldigt, ein Bild retuschiert zu haben, das Patriarch Kyrill zusammen mit dem russischen JustizministerAlexander Konovalov zeigt. Auf dem Original war eine teure Luxus-Uhr des Patriarchen zu sehen, in der manipulierten Fassung fehlte sie.

Diese kleine Episode versteht man erst dann richtig, wenn man eine Debatte kennt, die vergangenes Jahr in der russisch-orthodoxen Kirche geführt wurde. Sie wurde ausgelöst durch Äußerungen des Erzpriesters Wsewolod Tschaplin, der als Mitglied der Heiligen Synode des Moskauer Patriarchats für die Beziehungen der russisch-orthodoxen Kirche zur Gesellschaft verantwortlich zeichnet. Hier ein Bericht von portal-credo.ru:

Erzpriester Tschaplin hatte in einer Fernsehsendung am 11. April auf die Fragen von Jugendlichen, was vom Reichtum der Bischöfe und einiger Geistlicher zu halten sei, geantwortet, dass Geistliche das gesellschaftliche Prestige der Kirche widerspiegeln sollten. Es sei wichtig, dass die Bischöfe, die Kirchen und die kirchlichen Feiern nicht schlechter, sondern eher besser und schöner dastehen sollten als die Vertreter, Gebäude und Festakte der weltlichen Macht. 
Diese Worte sorgten in der russischen Öffentlichkeit für Empörung. So erkundigte sich der orthodoxe Moderator der wöchentlichen Fernsehsendung «Kirche und Welt mit Metropolit Ilarion (Alfejev) », Ivan Semenov, in einem offenen Brief an Erzpriester Tschaplin, ob seine Worte unkorrekt wiedergegeben seien, oder ob er sich ungeschickt ausgedrückt habe. Daraufhin antwortete ihm der Geistliche ebenfalls in einem offenen Brief, der sich vor allem gegen die ewiggestrige «Angewohnheit der dissidenten Intellektuellen, alles Starke, Teure und Mächtige zu verachten», richtete. In dem Brief heißt es: «Das Ausschmücken von Kirchen sowie der Kleider der Geistlichen, und zwar auch derjenigen, die außerhalb der Gottesdienste getragen werden sowie der Gegenstände, die die Geistlichen im offiziellen Rahmen umgeben, habe nicht ich erfunden, sondern ist eine Tradition der Kirche». Seit jeher hätten praktisch alle Bischöfe der christlichen Kirchen und auch der Russischen Orthodoxen Kirche in Residenzen gelebt, die denen der Zaren und Fürsten in nichts nachgestanden hätten. Sogar «Jesus Christus selbst hat in Häusern gespeist, deren Besitzern – im Luxus schwelgenden Dieben und skrupellosen Steuertreibern – heutige Intellektuelle nicht die Hand reichen würden. » Als Beispiel führte Erzpriester Tschaplin den Zöllner Zachäus an, dessen Gastmahl wohl mit unsauberem Geld bezahlt worden sei: «Welch eine Enttäuschung für diejenigen, welche die Kirche nur dann lieben, wenn sie schwach ist, nicht am Fernsehen auftritt, deren Geistliche in zerlumpter Soutane herumlaufen und […] deren Gotteshäuser halb verfallen sind.» Das dürfe aber in einem Land, wo Millionen Menschen sich als orthodoxe Christen bezeichneten, nicht mehr die Norm darstellen. Die Kirche brauche moderne und solide Gebäude, schöne Gewänder, goldene Ikonostasen und materiellen Wohlstand, um auf Augenhöhe mit denjenigen zu sein, die ihre Machtposition aufgrund von Reichtum ausnützten, sei dies ein Vertreter des Vatikans oder ein Geschäftsmann. 
Erzpriester Tschaplin hält es für puren Neid und geistig ungesund, wenn Christen endlos «Glanz und Elend» von Kleidern und Uhren erörterten. Der Patriarch fahre tatsächlich teure Autos und lebe in teuren Residenzen, aber er trage dieses Kreuz als «unvermeidlichen Bestandteil des Gehorsams eines Oberhauptes gegenüber seiner Kirche». Schließlich würden die Gläubigen es nicht verstehen, wenn ein Mufti oder ein Rabbiner ein prestigeträchtigeres Auto fahren würde als der Patriarch. 
Das eine ist es, historisch-gewachsene Kulturgüter in Kirchenbesitz zu verteidigen - einen Lebensstil "auf Augenhöhe" mit korrupten Staatsmännern und Oligarchen als Imperativ unseres Herrn Jesus Christus darzustellen, ist jene Art von wirklicher Blasphemie in Tateinheit mit Heuchelei (Retusche!), von der der Menschensohn den Tempel seines Vaters gereinigt sehen wollte (welche einschlägige Aktion, die in einem subversiven Buch mit dem Titel "Evangelium" berichtet wird, umfassend die "religiösen Gefühle" der seinerzeit Betroffenen verletzt hat).

Das ist in der Tat "Dreck/Scheiße" im Mantel des "Göttlichen". Vor diesem Hintergrund liest sich das "Punk-Gebet" von "Pussy Riot" vielleicht doch noch einmal anders:
Kirchliches Lob für die verfaulten Führer
Prozession aus schwarzen Limousinen
In die Schule kommt der Pfarrer
Geh zum Unterricht – bring ihm Geld!
Der Patriarch Gundjaj glaubt an Putin
Besser würde der Hund an Gott glauben
Der Gürtel der Jungfrau ersetzt keine Demonstrationen
Die Jungfrau Maria ist bei den Protesten mit uns!
Das Prophetische in den Zeichen der Zeit zu erkennen, gerade auch dann, wenn diese Zeichen extrem verstörend sind, ist eine Kunst, die die Kirche nie verlernen sollte. Die Damen von "Pussy Riot" sind keine religiösen Vorbilder, aber sie verfügen offensichtlich über gesunde religiöse Intuitionen ...

1 Kommentar:

  1. Mir erscheinen Tschaplins Ausführungen eigentlich völlig berechtigt.

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