Mittwoch, 22. Januar 2014

Kardinal Marx als Global Player

Damian von b-logos hat mich gefragt, was mir inhaltlich an dem Beitrag "Über den Kapitalismus hinaus denken" von Reinhard Kardinal Marx so sehr missfallen hat. Er könne in dem Beitrag auf den ersten Blick keine "Mischung aus sozialethischer Kompetenzfreiheit und Anbiederung an die Mächte dieser Welt" erkennen.


Ich will versuchen, mich - so kurz als möglich - zu erklären.

Im Kern ist der Beitrag von Marx ein Versuch, der Kritik an gewissen Ausführungen über wirtschaftliche und soziale Fragen in Evangelii Gaudium zu begegnen. Das ist ein in sich aussichtsloses Unterfangen, weil sich in diesen Ausführungen neben viel liebenswertem und urchristlichem Furor für Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit (Stichwort "prophetisch") Aussagen finden, die schlicht Unfug sind. Wie will man etwa den Satz "Die Ungleichverteilung der Einkünfte ist die Wurzel aller sozialen Übel" retten? Jedes Kind weiß, dass es im sozialen Leben der Menschen viele schlimme Übel gibt, die mit Einkünften, ob gleich oder ungleich verteilt, rein gar nichts zu tun haben. Wieviel soziales Leid verursacht eheliche Untreue - was hat sie mit der Einkommensverteilung zu tun? Der Satz geht nur auf, wenn man das Soziale (in einem simplizistischen Marxismus) vollständig auf das Ökonomische verkürzt - genau das ist es aber, was der Papst paradoxerweise dem bösen Kapitalismus vorwirft.

Schon im klein-handwerklichen geht dem Papst einiges daneben. Was soll man etwa von der Aussage halten, die Einkommen einiger Weniger stiegen "exponentiell"? Heute 1.000, morgen 1.000.0000 und übermorgen 1.000.000.000.000? Entspricht das irgendeiner Realität? Usw., usw.

Wie gesagt: Buchen wir das einmal unter "prophetisch" ab und lassen den Papst einen guten Mann sein (so schwer es einem als Katholik auch fallen mag: letztlich möchte man ja doch, dass der Papst entweder Richtiges sagt oder schweigt).

Zurück zu Kardinal Marx, der ja im Ruf eines ausgewiesenen Sozialethikers steht: Seine Argumentation in "Über den Kapitalismus hinaus denken" läuft darauf hinaus, einen Gegensatz zwischen "Kapitalismus" und "(Sozialer) Marktwirtschaft" zu konstruieren:
Ich meine: Kapitalismus und Marktwirtschaft sind nicht dasselbe! Der Begriff Kapitalismus führt in die Irre wie alle »-ismen«, die vorgeben das ganze Leben von einem bestimmten Punkt aus definieren zu können. Was wäre das für eine Sicht von Wirtschaft und Gesellschaft, die den Ausgangspunkt beim Kapital nimmt und die handelnden Menschen zu Randbedingungen beziehungsweise Kostenfaktoren macht?
Doch: Kapitalismus und Marktwirtschaft sind dasselbe, was man schon daran erkennen kann, dass der angelsächsische Bereich keinen eigenen Begriff für "Marktwirtschaft" hat, sondern das Wort eben mit "capitalism" übersetzt. Letztlich handelt es sich um zwei Charakteristika einer Wirtschaftsordnung: das Recht auf Privateigentum (auch an Produktionsmitteln) und die Steuerung von Produktion und Konsum über einen Mechanismus von Angebot und Nachfrage ("Markt"). Niemand wird behaupten können, dass z.B. im "Mutterland des Kapitalismus", der USA, "das ganze Leben von einem bestimmten Punkt" (dem Kapital) her konstruiert ist. Die Gesellschaftsordnung der USA fusst auf der Vorstellung eines Rechtsstaates, der die Freiheit individueller Entfaltung garantiert. Eines dieser Freiheitsrechte ist die ökonomische Betätigung, aber eben nur eines.

Die Katholische Soziallehre bejaht sowohl das Recht auf Eigentum an Produktionsmitteln als auch den freien Markt. Sie ist freilich der Meinung, dass dem Staat die doppelte Aufgabe zukommt, zum einen die Regeln des "Marktspiels" so zu fassen, dass soziale Standards nicht verletzt werden. Der Gegenpol ist hier nicht der Kapitalismus, sondern eine bestimmte Auffassung von Liberalismus ("am besten gar kein Staat").

Einher mit der schief-populistischen Alternative "Kapitalismus" / "Marktwirtschaft" geht bei Marx die Vorstellung, Armut im Sinne von "der Caritas bedürftig" ließe sich durch "Nicht-Ausschließung" überwinden:
Sie [die Armen] sind nicht »Objekte« unserer Betreuung, sondern sie müssen einen Platz finden in der Kirche und der Gesellschaft.
Auch das wäre nur richtig, wenn man "Armut" auf "materielle Armut" und daraus resultierende Exklusion bezöge. Es gibt aber sehr viele Formen der Armut, die nicht durch "strukturell überwunden" werden können. Kranke, Pflegebedürftige, Einsame und viele "Mühselige und Beladene" bedürfen nicht irgendwelcher Strukturreformen, sondern der "Betreuung", d.h. der liebend-caritativen Zuwendung.

Schon an dieser Stelle klingen die Worte des Kardinals ungut nach der Vorstellung, die Kirche könne im Konzert der Mächtigen als gleichberechtigter Partner am Tisch Platz nehmen und zur "Weltverbesserung" beitragen. Dieser Eindruck konkretisiert sich in anderen Passagen des Textes:
Und wie sehr sind gerade weltweite Debatten über Wege in eine gemeinsame Zukunft heute wichtig! Ohne eine Sensibilisierung für unsere gemeinsame, weltweite Verantwortung kann auch die politische Arbeit am Weltgemeinwohl nicht vorankommen. Die Diskussionen um das Weltklima in Warschau und das Ringen um ein neues Welthandelsabkommen der WTO in Bali zeigen es. [...]
Gerade im Zeitalter der Globalisierung hat die Katholische Kirche, die weltweit präsent ist und arbeitet, hier eine besondere Aufgabe. Sie kann Debatten über die Zukunft der Welt mit anstoßen und begleiten.
Richtig bedenklich wird diese Attitüde, wenn Marx die klassischen Lebensvollzüge der Kirche gegen numinose Weltverbesserungsprojekte ausspielt:
Dieser Aufruf des Papstes geht nach innen und nach außen und ist in beide Richtungen beunruhigend und folgenreich. Nach innen, in die Kirche hinein, macht er deutlich, dass Evangelisierung nicht nur bedeuten kann, Menschen in die Glaubensinhalte des Katechismus einzuführen und ihnen die Sakramente zu spenden, sondern eine neue Art des Lebens zu finden, eine neue Gemeinschaft, eine neue Vorstellung von der Zukunft aller Menschen.
Die Zukunft aller Menschen ist der Tod, der überwunden werden kann nur im Hinblick auf den Gottessohn am Kreuz, den sie zu verkünden und dessen Gnadenwirken sie in den Sakramenten auszuteilen das Privileg hat. Diese Perspektive kennt "die Welt" nicht und deshalb kann die Kirche mit ihr auch keine Projekte über die "Zukunft aller Menschen" machen. Anders gesagt: die Kirche ist die Zukunft der Welt oder sie hat keine. Was nicht im geringsten ausschließt, dass die Welt dort, wo aus Verkündigung und Sakramenten gelebt wird, ein "besserer Ort" sein sollte. Und auch nicht, dass die Verkündigung auch die soziale Sphäre einschließt.

An anderer Stelle hat Kardinal Marx vor kurzem ausgeführt:
Die katholische Kirche mit ihren 1,2 Milliarden Mitgliedern ist eine Weltorganisation ohne Vergleich. Aber sie bleibt immer noch – so glaube ich – unter ihren Möglichkeiten. Mein persönlicher Traum von Kirche ist, dass sie Werkzeug der einen Menschheitsfamilie zum Guten sein kann. Das wollte Jesus. Global Player und Global Prager im 21. Jahrhundert, das wie keine Epoche zuvor im Zeichen großer Veränderungen und der Chance hin zur „Einen Welt“ steht.
Die Kirche als (noch nicht hinreichend erfolgreich eingesetztes) "Werkzeug der einen Menschheitsfamilie zum Guten" - das ist schon fast nicht mehr zu unterscheiden von einem anderen Ausspruch:
Ich glaube an den Menschen und daran, dass das Christentum ein Mittel zu seinem Fortschritt sein kann.
Dieser Satz stammt von Bischof Jaques Gaillot und u.a. für diesen Satz ist er von Johannes Paul II. seines Amtes enthoben worden.

3 Kommentare:

  1. Danke sehr.
    Der Beitrag spricht mir aus der Seele!

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  2. Vielen Dank für die ausführliche Antwort. :-) Habe vor, später auf meinem Blog noch was dazu zu schreiben.

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  3. Gern geschehen - und ich bin gespannt :-)

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