Freitag, 8. Februar 2013

Der Kern des Problems - Kirche oder Konzern


Die Nächstenliebe
als Konzern-Logo?
Selten war eine Fernsehsendung so aufschlussreich für die Problematik „Kirche und Gesellschaft in Deutschland“ wie die Diskussionsendung „In Gottes Namen – wie gnadenlos ist der Konzern Kirche?“ unter Leitung von Günter Jauch.

Vordergründig ging es um die „Pille danach“ aufgrund der jüngsten Vorfälle im Erzbistum Köln und der Stellungnahme von Kardinal Meisner in dieser Sache. Während Martin Lohmann unter den teilweise arg inquisitorisch wirkenden Fragen des Moderators bemüht war, die kirchliche Position („eine Pille mit verhütender Wirkung bei Vergewaltigung ja, eine solche mit abtreibender Wirkung auch unter diesen Umständen nein“) darzustellen und zu verteildigen,  war der Rest der Runde (und das Publikum) damit beschäftigt, die wenig authentische Fassungslosigkeit über so viel Rückständigkeit zu artikulieren.

Das ist der erste Teil der Diagnose: in unserer Gesellschaft (zumindest in der medial inszenierten) ist eine Diskussion über ethische Frage auf einem auch nur halbwegs angemessenen intellektuellen Niveau schlicht nicht mehr möglich. Das Bewusstsein, dass Ethik etwas mit Denken (also vor allem mit Differenzierung) zu tun hat und nicht zuvörderst mit Empörung, scheint den Deutschen fast vollständig abhanden gekommen zu sein.

Sie beschäftigen sich lieber mit Ersatzdebatten wie der jüngsten „Aufschrei“-Diskussion zum Thema Sexismus.  So ist es in diesem Land nicht der Rede wert, dass nach wie vor 100.000 Kinder im Mutterleib getötet werden – alles nicht so schlimm, solange nur bei Astrid Lindgren der „Negerkönig“ getilgt wird.

Das eigentlich interessante Phänomen war die Tatsache, dass mit Peter Neher noch ein leibhaftiger Prälat in der Runde saß. Das nahm man zum einen nicht so wahr, weil er sein Klerikersein hinter einem dunkelgrünen Sakko und einer violetten Krawatte geschickt verbarg. Zum anderen – und das ist der entscheidende Punkt – war er eben auch nicht als Vertreter der Kirche, sondern als Leiter eines Konzerns dabei.

Prälat Peter Neher ist der Chef der Caritas und in dieser Eigenschaft Oberhaupt des mit mehr als 500.000 Mitarbeitern größten privaten Unternehmens in Deutschland. Konsequenterweise ging es ihm nicht – wie dem „naiven“ Herrn Lohmann – um die ethische Position der Kirche, sondern um den Nachweis, dass die Kirche (u.a. durch sein Unternehmen) viel näher bei der vielbeschworenen „Lebenswirklichkeit“ der Menschen in unserer Gesellschaft ist, als man gemeinhin denkt.

Die Caritas ist das fundamentalste Symbol für die Tatsache, dass die vielbesprochene Krise der deutschen Kirche in ihrem Kern eine Identitätskrise ist. Die katholische Kirche in Deutschland beschäftigt ca. 700.000 Mitarbeiter. Anfang der 60er Jahre waren es noch kaum mehr als 100.000 Menschen, die bei der Kirche angestellt waren. Zu dieser Zeit gingen noch fast 50 % der Katholiken Sonntag für Sonntag zum Gottesdienst – heute sind es kaum mehr als 10%.

Der Tag ist nicht mehr allzu fern (für bestimmte Altersgruppen ist es wohl schon so weit), dass mehr Menschen bei der Kirche angestellt sind als es praktizierende Katholiken gibt. Dann wird die stille Transformation von der Glaubensgemeinschaft zum Wohlfahrts-Konzern abgeschlossen sein.

Was treibt die Kirche in dieses eklatante Missverhältnis? Es ist der Versuch, die zunehmende gesellschaftliche Irrelevanz des christlichen Glaubens mit der Nützlichkeit der Institution Kirche zu kompensieren. Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, wohin diese Entwicklung führen wird: an einem bestimmten Punkt wird dieser Moloch auf tönernen Füßen abgeräumt werden wie die Klöster in der Säkularisation.

Die aus Nützlichkeitsüberlegungen geborene Verflechtung der Kirche mit dem staatswirtschaftlichen Komplex beraubt sie gleichzeitig der Fähigkeit, mit dieser Gesellschaft wirklich zu reden. Nicht über das nächste „Gechäfterl“, das man gemeinsam drehen könnte, sondern über grundsätzliche Fragen. Das ist ja der (vom letzten Konzil beeindruckend in Erinnerung gerufene) Weltauftrag der Kirche: in den gesellschaftlichen Diskurs die Stimme des Logos einzubringen, der die Welt besser versteht als sie sich selbst.

Solange die Kirche in Deutschland sich der Frage nach ihrer Identität nicht stellt, sondern sich immer weiter zu einem Rad im Getriebe eines säkularen Staates degradieren lässt, ist eine Besserung der Situation schwer vorstellbar: eine „falsch aufgestellte“ halbstaatliche Groß-Institution entwickelt sich nach ihren eigenen Gesetzen. Am Ende wird man dann nur sagen können: „finanziell ging es uns aber prächtig“ – ob das genügt?