Die Nächstenliebe als Konzern-Logo? |
Vordergründig ging es um die „Pille danach“ aufgrund der
jüngsten Vorfälle im Erzbistum Köln und der Stellungnahme von Kardinal Meisner
in dieser Sache. Während Martin Lohmann unter den teilweise arg inquisitorisch
wirkenden Fragen des Moderators bemüht war, die kirchliche Position („eine
Pille mit verhütender Wirkung bei Vergewaltigung ja, eine solche mit
abtreibender Wirkung auch unter diesen Umständen nein“) darzustellen und zu
verteildigen, war der Rest der Runde
(und das Publikum) damit beschäftigt, die wenig authentische Fassungslosigkeit
über so viel Rückständigkeit zu artikulieren.
Das ist der erste Teil der Diagnose: in unserer Gesellschaft
(zumindest in der medial inszenierten) ist eine Diskussion über ethische Frage
auf einem auch nur halbwegs angemessenen intellektuellen Niveau schlicht nicht
mehr möglich. Das Bewusstsein, dass Ethik etwas mit Denken (also vor allem mit
Differenzierung) zu tun hat und nicht zuvörderst mit Empörung, scheint den
Deutschen fast vollständig abhanden gekommen zu sein.
Sie beschäftigen sich lieber mit Ersatzdebatten wie der
jüngsten „Aufschrei“-Diskussion zum Thema Sexismus. So ist es in diesem Land nicht der Rede wert,
dass nach wie vor 100.000 Kinder im Mutterleib getötet werden – alles nicht so
schlimm, solange nur bei Astrid Lindgren der „Negerkönig“ getilgt wird.
Das eigentlich interessante Phänomen war die Tatsache, dass
mit Peter Neher noch ein leibhaftiger Prälat in der Runde saß. Das nahm man zum
einen nicht so wahr, weil er sein Klerikersein hinter einem dunkelgrünen Sakko
und einer violetten Krawatte geschickt verbarg. Zum anderen – und das ist der
entscheidende Punkt – war er eben auch nicht als Vertreter der Kirche, sondern
als Leiter eines Konzerns dabei.
Prälat Peter Neher ist der Chef der Caritas und in dieser
Eigenschaft Oberhaupt des mit mehr als 500.000 Mitarbeitern größten privaten
Unternehmens in Deutschland. Konsequenterweise ging es ihm nicht – wie dem „naiven“
Herrn Lohmann – um die ethische Position der Kirche, sondern um den Nachweis,
dass die Kirche (u.a. durch sein Unternehmen) viel näher bei der
vielbeschworenen „Lebenswirklichkeit“ der Menschen in unserer Gesellschaft ist,
als man gemeinhin denkt.
Die Caritas ist das fundamentalste Symbol für die Tatsache,
dass die vielbesprochene Krise der deutschen Kirche in ihrem Kern eine
Identitätskrise ist. Die katholische Kirche in Deutschland beschäftigt ca.
700.000 Mitarbeiter. Anfang der 60er Jahre waren es noch kaum mehr als 100.000
Menschen, die bei der Kirche angestellt waren. Zu dieser Zeit gingen noch fast
50 % der Katholiken Sonntag für Sonntag zum Gottesdienst – heute sind es kaum
mehr als 10%.
Der Tag ist nicht mehr allzu fern (für bestimmte
Altersgruppen ist es wohl schon so weit), dass mehr Menschen bei der Kirche angestellt
sind als es praktizierende Katholiken gibt. Dann wird die stille Transformation
von der Glaubensgemeinschaft zum Wohlfahrts-Konzern abgeschlossen sein.
Was treibt die Kirche in dieses eklatante Missverhältnis? Es
ist der Versuch, die zunehmende gesellschaftliche Irrelevanz des christlichen
Glaubens mit der Nützlichkeit der Institution Kirche zu kompensieren. Man muss
kein Prophet sein, um zu sehen, wohin diese Entwicklung führen wird: an einem
bestimmten Punkt wird dieser Moloch auf tönernen Füßen abgeräumt werden wie die
Klöster in der Säkularisation.
Die aus Nützlichkeitsüberlegungen geborene Verflechtung der
Kirche mit dem staatswirtschaftlichen Komplex beraubt sie gleichzeitig der
Fähigkeit, mit dieser Gesellschaft wirklich zu reden. Nicht über das nächste
„Gechäfterl“, das man gemeinsam drehen könnte, sondern über grundsätzliche
Fragen. Das ist ja der (vom letzten Konzil beeindruckend in Erinnerung
gerufene) Weltauftrag der Kirche: in den gesellschaftlichen Diskurs die Stimme
des Logos einzubringen, der die Welt besser versteht als sie sich selbst.
Solange die Kirche in Deutschland sich der Frage nach ihrer
Identität nicht stellt, sondern sich immer weiter zu einem Rad im Getriebe
eines säkularen Staates degradieren lässt, ist eine Besserung der Situation
schwer vorstellbar: eine „falsch aufgestellte“ halbstaatliche Groß-Institution
entwickelt sich nach ihren eigenen Gesetzen. Am Ende wird man dann nur sagen
können: „finanziell ging es uns aber prächtig“ – ob das genügt?