Donnerstag, 26. Mai 2011

Die "Memorandisti" und die Theologie

Man kann über das „Memorandum Freiheit“ so manches sagen, und vieles ist in den letzten Tagen bereits gesagt worden. Man kann - vielleicht sogar als Bischof – die eine oder andere Forderung der Autoren und Unterzeichner für richtig halten. Was man aber keinesfalls – und ganz bestimmt nicht als Bischof –behaupten kann: es sei das Werk von „Menschen mit Kompetenz“. In Bezug auf ein Theologen-Memorandum kann „Menschen mit Kompetenz“ wohl nur bedeuten: „Menschen mit theologischer Kompetenz“. Genau diese theologische Kompetenz fehlt dem Dokument jedoch in eklatanter Weise. 

Die Verfasser und Unterzeichner besitzen offensichtlich keine kirchengeschichtliche Kompetenz, sonst könnten sie im Land der Reformation nicht behaupten, die deutsche Kirche habe im Jahr 2010 eine beispiellose Krise erlebt. 

Sie besitzen auch keine religionssoziologische Kompetenz, sonst könnten sie nicht behaupten, die im Jahr 2010 aus der Kirche Ausgetretenen hätten „der Kirchenleitung die Gefolgschaft gekündigt“ (warum eigentlich nur der Kirchenleitung und nicht auch den Theologen?), denn der Kirchenaustritt ist in aller Regel der Endpunkt eines schleichenden Prozesses des Glaubensverlustes und der an diesen Glauben geknüpften kirchlichen Bindung.

Sie besitzen auch keine liturgische Kompetenz, sonst könnten sie nicht behaupten „Die Liturgie lebt von der aktiven Teilnahme der Gläubigen“. Denn nur umgekehrt wird ein (theologischer) Schuh daraus: „Die Gläubigen leben von der aktiven Teilnahme an der Liturgie“.

Am deutlichsten jedoch wird die mangelnde theologische Kompetenz der Verfasser des Memorandums dort, wo es um das Grundverständnis jener Kirche geht, über die sie sich so fürsorglich Gedanken machen. „Die Kirche ist kein Selbstzweck“ lautet ein zentraler Satz des Textes. Das klingt gut und auf den ersten Blick vielleicht sogar einleuchtend. Der Satz ist aber theologisch schlicht falsch. In der Kirche geht der auferstandene Herr durch die Geschichte, sie hat dadurch Anteil am Reich Gottes und seiner ewigen Selbstzwecklichkeit. Das II. Vatikanische Konzil formuliert diesen Sachverhalt in der Konstitution „Lumen Gentium“ bereits im Einleitungskapitel folgendermaßen: „Sie war schon seit dem Anfang der Welt vorausbedeutet; in der Geschichte des Volkes Israel und im Alten Bund wurde sie auf wunderbare Weise vorbereitet, in den letzten Zeiten gestiftet, durch die Ausgießung des Heiligen Geistes offenbart, und am Ende der Weltzeiten wird sie in Herrlichkeit vollendet werden. Dann werden, wie bei den heiligen Vätern zu lesen ist, alle Gerechten [...] in der allumfassenden Kirche beim Vater versammelt werden“ (LG 1,2).

Besonders deutlich wird die Zweckfreiheit der Kirche dort, wo sie sich in der Feier der Eucharistie selbst vollzieht. Das „Innen“ der Kirche (das gläubige Leben aus dem Gebet und den Sakramenten als Teilhabe am Reich Gottes) kommt im Memorandum jedoch nicht vor – ohne dieses „Innen“ ist das wortreich beschriebene „Außen“ (das gesellschaftliche Engagement für Gerechtigkeit, Menschenrechte und Solidarität) aber nicht denkbar – der zweckfreie innere Selbstvollzug ist die unabdingbare Voraussetzung für jede äußere Aktivität. Natürlich hat die Kirche auch eine Sendung und einen Auftrag – einen „Zweck“ hat sie nicht.

Ein weiterer kurzer Satz des Dokumentes offenbart die theologische Ahnungslosigkeit seiner Verfasser: „Nur wenn Selbst- und Fremdbild der Kirche nicht auseinanderklaffen, ist sie glaubwürdig“. Sieht man einmal davon ab, dass nicht „die Kirche“ glaubwürdig sein kann, sondern nur die Menschen in ihr glaubwürdig Zeugnis von der frohen Botschaft ablegen können, verschlägt einem das Ausmaß an spießigem Säkularismus den Atem, das sich in dem Wunsch nach Übereinstimmung von „Selbstbild“ und „Fremdbild“ ausdrückt. Wie könnte jemand, der der Kirche nicht angehört, also „fremd“ von außen auf sie schaut, ihr Selbstverständnis teilen? Wenn er es aber teilt, wie könnte er ihr „fremd“ bleiben? Die Kluft zwischen Selbst- und Fremdbild der Kirche entspricht letztlich der Spannung zwischen demjenigen, der von sich sagt „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ und all denen, die diesen wahrhaft provokanten Anspruch zurückweisen - bis hin zum Ruf am Karfreitag: „Kreuzigt ihn“. Wer diese Spannung beseitigen möchte, träumt von einer Institution, die sich als nützliches Glied in den Organismus von Staat und Gesellschaft integriert und nach der Melodie derjenigen spielt, die dort den Taktstock schwingen. Das mag für den vorübergehenden Erhalt staatlich finanzierter theologischer Lehrstühle hilfreich sein – mit der Kirche Jesu Christi hätte es wenig zu tun.

Wenn das Memorandum „Kirche 2011“ Ausdruck der theologischen Kompetenz jenes Dialogprozesses ist, den Bischof Bode und seine Mitbrüder angekündigt haben, sollte man ihn absagen und den deutschen Katholiken eine Novene zum Heiligen Geist ans Herz legen – vielleicht ganz allgemein eine gute Alternative zum wohlfeilen Geschwätz von der „Krise der Kirche“: Tacere, adorare.

Dieser Beitrag wurde zunächst auf "kath.net" veröffentlicht.

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