Montag, 10. November 2014

Eine liturgische Perle: das Offertorium aus Job

Der 21. Sonntag nach Pfingsten ("alter Ordnung") ist zwar schon einige Tage her, aber ich möchte den liturgisch Interessierten unter meinen Lesern eine kleine Entdeckung nicht vorenthalten.

Die letzten Sonntag im Kirchenjahr sind den letzten Dingen gewidmet. In den Texten des 21. Sonntags nach Pfingsten wird dies besonders deutlich. In der Epistel aus dem 6. Kapitel des Epheserbriefes, in dem uns der Völkerapostel dazu auffordert, uns zu rüsten für den Kampf. Im 18. Kapitel des Evangeliums nach Matthäus mit dem Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger.



In diesen Zusammenhang fügt sich auch das Offertorium des Tages, das uns Job vor Augen stellt, den Gerechten in seinem Elend und seinem Schmerz. Das tridentinische Missale hat von diesem Offertorium nur die Antiphon behalten - seine ursprüngliche Gestalt ist aber von Amalarius von Metz, dem Schüler Alkuins und Bischof von Trier (811-815) überliefert. In Prosper Guérangers "Kirchenjahr" ist diese älteste Form mit den vier Versikeln zu finden:

A. Vir irat in terra Hus nomine Job, simplex et rectus ac timens Deum, quem Satan petiit, ut tentaret: et data est ei potestas a Domino in facultates et in carnem ejus; perdiditque omnem substantiam ipsius et filios, carnem quoque ejus gravi ulcere vulneravit.     A. Es war ein Mann im Landes Hus mit Namen Job; er war einfältig und aufrichtig und fürchtete Gott; auf ihn sah es Satan ab, um ihn zu versuchen; und es wurde ihm von Gott gegeben gegen das Vermögen und das Fleisch desselben; und vernichtete all' seine Habe und seine Söhne, auch sein Fleisch verwundete er mit argem Aussatz.
V. I. Utinam appenderentur peccata mea; utinam appenderentur peccata mea, quibus iram merui, quibus iram merui; et calamitas, et calamitas quam patior: haec gravior appareret.     V. 1. O würden gewogen meine Sünden, o würden gewogen meine Sünden, womit ich den Zorn verdient, womit ich den Zorn verdient; und das Elend, das Elend, das ich leide; dieses würde drückender erscheinen.
A. Vir irat ...     A. Es war ein Mann ...
V. II. Quae est enim, quae est enim, quae est enim fortitudo mea ut sustineam? aut quis finis meus ut patienter agam?     V. 2. Aber was ist, aber was ist, aber was ist meine Kraft, daß ich ausharre? Oder was mein Ende, dass ich geduldig bleibe?
A. Vir irat ...     A. Es war ein Mann ...
V. III. Numquid fortitudo lapidum est fortitudo mea? aut caro mea aenea est? aut caro mea aenea est?     V. 3. Ist meine Kraft Felsenkraft? Oder mein Fleisch von Erz? Oder mein Fleisch von Erz?
A. Vir irat ...     A. Es war ein Mann ...
V. IV. Quoniam, quoniam, quoniam non revertetur oculus meus ut videat bona, ut videat bona, ut videat bona, ut videat bona, ut videat bona, ut videat bona, ut videat bona, ut videat bona.     V. 4. Weil, weil, weil meine Auge sich nicht zurückwendet, daß es gutes sähe, daß es gutes sähe, daß es gutes sähe, daß es gutes sähe, daß es gutes sähe, daß es gutes sähe, daß es gutes sähe, daß es gutes sähe.
A. Vir irat ...     A. Es war ein Mann ...

Der erste Abt der wiederbegründeten Benediktinerabtei von Solesmes beschreibt den Text folgendermaßen:
"Die Antiphon gibt uns die Worte des Geschichtsschreibers, welcher einfach Thatsachen erzählt. In den Versikeln dagegen tritt Job selbst auf, mit erschöpftem Leibe, die Seele voll Bitterkeit. Die Wiederholungen der Worte, die abgebrochenen und wiederaufgenommenen Reden, die unvollendeten Sätze, versinnbildlichen auf's Lebendigste seinen gepreßten Athem und seinen Schmerz".
Dieses Offertorium aus Job berührt nicht nur unmittelbar unser Herz und bringt uns die Geschichte des schwergeprüften Gerechten aus ungewohnter Perspektive nahe; seine literarische Form ist in ihrer scheinbaren Altertümlichkeit (immerhin ist es mindestens 1.200 Jahre alt) auch auf frappierende Weise modern.

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank dafür! Ein klein wenig in diese Richtung hatte ich neulich auch hier geschrieben.

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