Dienstag, 31. Januar 2012

Noch einmal: Braucht uns Gott?

Zu meinem letzten Posting über die Frage, ob Gott uns braucht, hat es zwei interessante Kommentare gegeben, die sich auf je eigene Weise an der scheinbaren "Gefühlslosigkeit" und "Unpersönlichkeit" des von mir skizzierten "Gottesbildes" stossen.

Zunächst handelt es sich hier nicht um ein "Gottesbild" - und schon gar nicht um ein "philosophisches". Ich hatte lediglich in stark verkürzter Form den Glauben der Kirche dargestellt, wie ihn uns die Schultheologie lehrt. Philosophisch ist diese Theologie nur insofern sie sich in philosophisch geklärten Begriffen ausdrückt - was aber jede Theologie tun muss, die ihren Namen verdient. Womit nicht geleugnet werden soll, dass es auch andere Wege gibt, den Glauben auszudrücken, etwa in der Sprache der Poesie.

Was macht nun diese an Klarheit (und damit auch Schönheit!) des Gedankens wohl nicht so leicht zu überbietende Theologie für uns Heutige so unattraktiv? Ein Satz im Kommentar von Sperantia scheint mir den deutlichsten Hinweis zu geben: "Doch er hat uns geschaffen, um mit uns in einer Beziehung zu stehen". Ich fürchte, hier muss man widersprechen - umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir stehen mit Gott in einer Beziehung, weil er uns geschaffen hat. Ein Geschöpf Gottes zu sein, von ihm ins Sein gerufen, aufgrund seiner sich verströmenden Liebe (Selbstmitteilung) nicht "Nicht-zu-sein", das begründet unsere Beziehung zu Gott. Es ist vielleicht das größte Defizit des modernen Menschen, dass ihm dieser Zusammenhang so wenig evident ist. Aber letztlich ist dieses Defizit ja nur Ausdruck der Ursünde des Menschen: seine Geschöpflichkeit nicht anerkennen zu wollen, seine Vollendung nicht zu finden im sehnsüchtigen (Zurück-)Streben zu seinem Ursprung, sondern einen verzweifelten Selbststand ausserhalb des von Gott vorgegebenen Plans finden zu wollen: selbst ein kleiner Gott sein zu wollen. Auch als Christen, die wir die "zweite Chance" ergreifen, die uns im menschgewordenen Gottessohn entgegengestreckt wurde, sollten wir nicht vergessen, dass die Annahme des Geschöpfseins bereits genug gewesen wäre, um selig zu sein.

"Sonst wären wir nur ein lebendiges Spielzeug" - nein, Gott spielt nicht mit uns im Sinne eines "Zeugs". Mit unserer Existenz lässt er uns an seinem Sein teilhaben und damit auch an seiner Freiheit. Aber es ist nicht das schlechteste Bild unserer Bestimmung, dass wir vor Gott "spielen". Denn was ist Spielen anderes als der Inbegriff des "Bei-sich-Seins", was christlich nichts anderes bedeuten kann, als "Bei-Gott-Sein"? Und ist das versunkene Spielen eines Kindes nicht der stärkste Ausdruck des staunenden Geniessens der Schöpfung? Und als Loslösung von allen Zwecken und Bedürfnissen gleichzeitig das höchste Bild menschlicher Freiheit?

Als Menschen im gefallenen Zustand steht uns der Weg einer "unmittelbaren" Rückkehr zu unserem Schöpfer allerdings nicht mehr offen - wir müssen uns von Christus erlösen lassen und an seiner Hand und in seiner Nachfolge unseren Weg zum Vater gehen. Von daher hat Walter Schwaiger ganz recht, wenn er schreibt, "dass im Christentum der Weg nur über Christus führen kann". Ganz unverständlich ist mir aber seine Aussage, der menschgewordene Gott sei "eine Brücke, die uns den Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf überwinden lässt". Das klingt so, als sei Gott für seine Geschöpfe per se (also qua ihrer Geschöpflichkeit) unerreichbar. Unüberbrückbar ist aber nicht der Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf, sondern die Trennung zwischen Gott und dem Sünder. Diesen Abgrund hat Christus für uns überwunden und über ihn "eine Brück gebaut".

Ich habe auch die größten Probleme mit der Aussage, Menschwerdung bedeute "Bedürftig werden". Natürlich "bedurfte" der Mensch Jesus der Nahrung, der Kleidung, des Schlafes, etc. Aber bedurfte er menschlicher Liebe in der Weise, wie wir uns Liebe kaum vorstellen können ohne das Bedürfnis "zurückgeliebt" zu werden? Ich finde für eine solche Behauptung beim besten Willen keinen Anhaltspunkt in der Hl. Schrift. Ist es nicht fast befremdlich, wie wenig Jesus selbst der Liebe seiner Mutter "bedurfte"? Und ist die Frage an Petrus "Simon bar Jona, liebst Du mich?" (Joh 21) etwas anderes als die Gründung des Amtes auf die ungeteilte Hingabe an den Herrn?

Zuletzt: "weil mein Gottes- und Jesusbild so viel personalisierter und persönlicher ist". Hierin steckt noch einmal der Vorwurf an die kirchliche Lehre, sie zeichne ein abstrakt-unpersönliches Bild von Gott. Ich habe schon deutlich gemacht, dass ich diesen Vorwurf nicht nachvollziehen kann, wenn die Theologie von einem persönlichen Gott spricht, in dessen überfließender Liebe Geschöpfe gründen, deren Bestimmung es ist, in einer freien (personalen) Liebe zu ihrem liebenden Schöpfer zurückzukehren und ihn dadurch zu verherrlichen.

Ist es nicht eher so, dass dieses "viel personalisierter und persönlicher" eigentlich ein "viel menschlicher" meint? Ist es nicht doch der Wunsch nach dem "Gott auf Augenhöhe"?

In Jesus Christus ist Gott uns so nahe gekommen, dass wir "Du" zu ihm sagen können. Es bleibt aber das "Du" des Kindes zum Vater, des Geschöpfes zum Schöpfer. Das Neue Testament zeigt uns keinen "Kumpel Jesus", sondern den Herrn, der uns lehrt, dass die höchste Liebe des Menschen in der Befolgung des göttlichen Gebotes besteht. Selbst dort, wo Jesus uns "nicht mehr Knechte, sondern Freunde" nennt, wird dies ganz deutlich:
Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich Euch gebiete (Joh 15).

Montag, 9. Januar 2012

Braucht uns Gott?

Rund um einige Beiträge von Josef Bordat hat sich in der vergangenen Woche eine Diskussion zu der Frage entwickelt, ob Gott unsere Liebe braucht. Ausgangspunkt war ein Beitrag über eine Katechese, die Frère Alois beim Taizé-Treffen gehalten hatte.
Zu Ende der Diskussion scheint sich ein gewisser Konsens herausgebildet zu haben, nach dem man zwar nicht sagen könne, Gott brauche uns in einem "existenziellen Sinn", eine Sehnsucht Gottes nach unserer Liebe könne man aber wohl nicht verneinen (siehe den abschließenden Beitrag von Josef Bordat und die dort angegebenen Verweise auf die Diskussionsbeiträge).
Ich empfinde diesen Konsens und große Teile der Diskussion als ein wenig irritierend. Dies bezieht sich nicht auf die Qualität der Beiträge - es sind viele beeindruckende Gedankengänge darunter. Aber ich frage mich doch, warum zentrale Aussagen des katholischen Glaubens teilweise behandelt werden als seien sie Teil einer Geheimwissenschaft. Dies umso mehr, als in der Diskussion eine Aufstellung dogmatischer Sätze aus einem schultheologischen Lehrbuch ("der Ott") allseits positiv gewürdigt wurde (über diese "254 Dogmen der Kirche" sollte man auch noch einmal reden). 

Gott braucht uns in keiner Weise. Ein solches "Brauchen" widerspräche ganz offensichtlich seiner Vollkommenheit. Es gibt in Gott keinen Mangel, der durch irgendetwas, schon gar nicht durch den Menschen behoben werden könnte und müsste. Nun stellt sich aber die Frage, wie man angesichts des sich selbst genügenden Gottes von Liebe sprechen kann, ja sogar davon, daß "Gott die Liebe ist" (1 Joh 4,8). Hier geht jeder denkerische Ansatz fehl, der die Liebe Gottes von der Liebe des Menschen her konstruieren will. Die Liebe Gottes zu sich selbst ist sein Wesen. Was auch sonst könnte Gott lieben als das vollkommene Gut-Sein, das er selbst ist? 
Die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen besteht nun darin, dass er sich an sie verschenkt, indem er ihnen schenkt, dass sie durch ihn existieren und daß sie (in Freiheit!) zu ihm (zurück-)streben (mit anderen Worten: ihn lieben). Diese Liebe Gottes zu uns ist eine Liebe des Wohlgefallens (amor complacentiae), weil wir an seiner Vollkommenheit teilhaben und ihm unser Endziel haben und sie ist eine Liebe des Wohlwollens (amor benevolentiae), weil Gott in dieser Liebe selbst nichts empfängt, sondern nur schenkt. Sie ist nicht Folge, sondern Ursache unseres Gut-Seins. Die Liebe Gottes ist KEINE Liebe des Begehrens (amor concupiscentiae), weil sie reine Aktivität ist und in ihr keine Passivität sein kann, die gleichsam auf unsere Re-Aktivität "wartet" und keine Emotion, weil Gott nicht bewegt werden kann (er ist der "unbewegte Beweger"). Alle Zuschreibungen von Affekten und Leidenschaften, wie wir sie vor allem im Alten Testament finden (Gott bereut, Gott ist eifersüchtig, etc.) sind Anthropomorphismen und Analogien, die dazu dienen, die Intensität und Herrlichkeit des göttlichen Schöpfungs- und Heilswerkes zu verdeutlichen.

Gott ist also nicht angewiesen auf unsere Liebe, er ist nicht abhängig von ihr, er sehnt sich nicht nach ihr und schon gar nicht lebt er in einer Schicksalsgemeinschaft mit uns. Er braucht unsere Liebe auch nicht für das "Gelingen" seines Heilsplans - wir können Gott nicht sein Spiel verderben, sondern immer nur unseres. Und sollten wir dies tun, vollzöge sich dieser liebvoll-barmherzige Heilsplan in seiner Gerechtigkeit an uns. Dann fehlte uns auf Ewigkeit alles - Gott aber nichts.

So manches Missverständnis in dieser Frage scheint mir in wohlklingenden, meist sicher fromm gemeinten Sätzen der Art "In der Menschwerdung Jesu macht Gott sich verletzlich" begründet zu sein. Diese Sätze haben eine gewisse innere Tendenz, den Zielpunkt der Inkarnation zu verschieben, so als ginge es beim "heiligen Tausch" um die Vermenschlichung Gottes (es ist dann nicht weit zu einem fröhlichen "Mach's wie Gott - werde Mensch") und nicht vielmehr um die Vergöttlichung des Menschen. In Bezug auf unser Thema, die Liebe Gottes zu den Menschen und die Liebe des Menschen zu Gott, ist das Geheimnis von Weihnachten natürlich von größter Bedeutung: es beseitigt die Anthropomorphismen des Alten Testaments und stellt uns die zweite Person der Trinität als jemanden vor Augen, der "ganz Mensch" ist. In ihm sehen wir, wie die göttliche Liebe "als Mensch" handelt. Das bedeutet aber nicht, dass damit der Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf beseitigt wäre, von dem der Glaube der Kirche sagt, dass er so groß ist, dass jeder Ähnlichkeit eine noch größere Unähnlichkeit entspricht.