Montag, 9. Januar 2012

Braucht uns Gott?

Rund um einige Beiträge von Josef Bordat hat sich in der vergangenen Woche eine Diskussion zu der Frage entwickelt, ob Gott unsere Liebe braucht. Ausgangspunkt war ein Beitrag über eine Katechese, die Frère Alois beim Taizé-Treffen gehalten hatte.
Zu Ende der Diskussion scheint sich ein gewisser Konsens herausgebildet zu haben, nach dem man zwar nicht sagen könne, Gott brauche uns in einem "existenziellen Sinn", eine Sehnsucht Gottes nach unserer Liebe könne man aber wohl nicht verneinen (siehe den abschließenden Beitrag von Josef Bordat und die dort angegebenen Verweise auf die Diskussionsbeiträge).
Ich empfinde diesen Konsens und große Teile der Diskussion als ein wenig irritierend. Dies bezieht sich nicht auf die Qualität der Beiträge - es sind viele beeindruckende Gedankengänge darunter. Aber ich frage mich doch, warum zentrale Aussagen des katholischen Glaubens teilweise behandelt werden als seien sie Teil einer Geheimwissenschaft. Dies umso mehr, als in der Diskussion eine Aufstellung dogmatischer Sätze aus einem schultheologischen Lehrbuch ("der Ott") allseits positiv gewürdigt wurde (über diese "254 Dogmen der Kirche" sollte man auch noch einmal reden). 

Gott braucht uns in keiner Weise. Ein solches "Brauchen" widerspräche ganz offensichtlich seiner Vollkommenheit. Es gibt in Gott keinen Mangel, der durch irgendetwas, schon gar nicht durch den Menschen behoben werden könnte und müsste. Nun stellt sich aber die Frage, wie man angesichts des sich selbst genügenden Gottes von Liebe sprechen kann, ja sogar davon, daß "Gott die Liebe ist" (1 Joh 4,8). Hier geht jeder denkerische Ansatz fehl, der die Liebe Gottes von der Liebe des Menschen her konstruieren will. Die Liebe Gottes zu sich selbst ist sein Wesen. Was auch sonst könnte Gott lieben als das vollkommene Gut-Sein, das er selbst ist? 
Die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen besteht nun darin, dass er sich an sie verschenkt, indem er ihnen schenkt, dass sie durch ihn existieren und daß sie (in Freiheit!) zu ihm (zurück-)streben (mit anderen Worten: ihn lieben). Diese Liebe Gottes zu uns ist eine Liebe des Wohlgefallens (amor complacentiae), weil wir an seiner Vollkommenheit teilhaben und ihm unser Endziel haben und sie ist eine Liebe des Wohlwollens (amor benevolentiae), weil Gott in dieser Liebe selbst nichts empfängt, sondern nur schenkt. Sie ist nicht Folge, sondern Ursache unseres Gut-Seins. Die Liebe Gottes ist KEINE Liebe des Begehrens (amor concupiscentiae), weil sie reine Aktivität ist und in ihr keine Passivität sein kann, die gleichsam auf unsere Re-Aktivität "wartet" und keine Emotion, weil Gott nicht bewegt werden kann (er ist der "unbewegte Beweger"). Alle Zuschreibungen von Affekten und Leidenschaften, wie wir sie vor allem im Alten Testament finden (Gott bereut, Gott ist eifersüchtig, etc.) sind Anthropomorphismen und Analogien, die dazu dienen, die Intensität und Herrlichkeit des göttlichen Schöpfungs- und Heilswerkes zu verdeutlichen.

Gott ist also nicht angewiesen auf unsere Liebe, er ist nicht abhängig von ihr, er sehnt sich nicht nach ihr und schon gar nicht lebt er in einer Schicksalsgemeinschaft mit uns. Er braucht unsere Liebe auch nicht für das "Gelingen" seines Heilsplans - wir können Gott nicht sein Spiel verderben, sondern immer nur unseres. Und sollten wir dies tun, vollzöge sich dieser liebvoll-barmherzige Heilsplan in seiner Gerechtigkeit an uns. Dann fehlte uns auf Ewigkeit alles - Gott aber nichts.

So manches Missverständnis in dieser Frage scheint mir in wohlklingenden, meist sicher fromm gemeinten Sätzen der Art "In der Menschwerdung Jesu macht Gott sich verletzlich" begründet zu sein. Diese Sätze haben eine gewisse innere Tendenz, den Zielpunkt der Inkarnation zu verschieben, so als ginge es beim "heiligen Tausch" um die Vermenschlichung Gottes (es ist dann nicht weit zu einem fröhlichen "Mach's wie Gott - werde Mensch") und nicht vielmehr um die Vergöttlichung des Menschen. In Bezug auf unser Thema, die Liebe Gottes zu den Menschen und die Liebe des Menschen zu Gott, ist das Geheimnis von Weihnachten natürlich von größter Bedeutung: es beseitigt die Anthropomorphismen des Alten Testaments und stellt uns die zweite Person der Trinität als jemanden vor Augen, der "ganz Mensch" ist. In ihm sehen wir, wie die göttliche Liebe "als Mensch" handelt. Das bedeutet aber nicht, dass damit der Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf beseitigt wäre, von dem der Glaube der Kirche sagt, dass er so groß ist, dass jeder Ähnlichkeit eine noch größere Unähnlichkeit entspricht.

4 Kommentare:

  1. Sehe ich genauso. Das Problem beginnt dort, wo man die Liebe Gottes aus einem diffusen Begriff menschlicher Liebe verstehen will.

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  2. Lieber Theodor,
    es ist ein sehr guter und interessanter Artikel. Vielen Dank. Mit meinen menschlichen Gefühlen muss ich sagen, daß er mich etwas traurig stimmt.
    ich frage mich wie ich mir diese Unbeweglichkeit Gottes vorstellen kann. Freut sich Gott über einen umkehrenden Sünder? Trauert er über eine verlorene Seele? Im AT ist oft die Rede von Zorn, Rache und Strafe Gottes. Auch Paulus greift das in Rom 12,19 auf, als er die Brüder bittet nicht selbst Rache auszuüben, sondern es dem Zorn Gottes zu überlassen. Auch die 2. Person der Trinität ist an einigen Stellen zornig, z.B. im Tempel. Ist das nicht Bewegung?

    Gott braucht unsere Liebe sicherlich nicht. In seiner trinitarischen Beziehung gibt und empfängt er die höchstmögliche Form der Liebe. Doch er hat uns geschaffen um auch mit uns in einer Beziehung zu stehen. Ansonsten wären wie wie ein lebendiges Spielzeug. Will und wünscht er nicht daß wir uns öffnen für diese Beziehung (die Distanz respektierend)? Was hat er nicht schon alles dafür getan?
    Letztlich bleibt es ein Rätsel, wie die Zeit und Ewigkeit für uns nur Theorie bleibt. Fällt es uns Menschen nicht leichter zu lieben, wenn wir auch gebraucht oder zumindest unsere Liebe gewünscht ist?

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  3. Anfangs habe ich diesen Eintrag nur überflogen um ihn dann doch interessiert zu lesen. Es steckt viel drin in dieser sehr philosophischen Annäherung an das "Wesen Gottes" - auch wenn ich immer wieder über die ihr implizite Emanationslehre stolpere.

    Ich stolpere deswegen darüber, weil mein Gottes- und Jesusbild so viel personalisierter und persönlicher ist. Letztlich glaube ich nicht, dass wir über einen intellektuellen Umweg die Menschwerdung Jesu umgehen können, dass im Christentum der Weg nur über Christus führen kann. Und von ihm heißt es: Er wurde uns in allem gleich, außer der Sünde.

    "Mensch geworden" heißt auch, die menschliche Bedürftigkeit anzunehmen. Und für uns ist der Mensch gewordene Gott eine Brücke, die uns diesen "Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf" überwinden lässt, die er überwunden hat. Würde ich das ignorieren bedeutete es gleichzeitig, Gottes Plan und Angebot auszuschlagen.

    Herzliche Grüße,
    Walter Schwaiger

    http://tagebucheineschristen.wordpress.com

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