Montag, 23. Februar 2015

Kardinal Marx und die Kirche

The Cardinal speaks English very well!
Gibt es einen Pianisten, der nicht weiß, was ein Klavier ist? Einen Koch, der nicht weiß, was eine Küche ist? Ich hätte immer gesagt: nein, das ist nicht möglich. Nun muss ich umdenken, denn es gibt ganz offensichtlich einen Kardinalerzbischof und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, der nicht weiß, was die Kirche ist.

„Si tacuisses“ sagte man früher in solchen Fällen, aber das Schweigen ist des Mannes Sache nicht. Reinhard Marx gibt furchtbar gerne Interviews und jüngst hat er ein solches in Amerika anlässlich eines Gastvortrags an der Standford University der Jesuitenzeitschrift „America“ gewährt. Man kann seine Redelust in gewisser Weise ja verstehen – schreibt er doch nach eigenem Bekunden gerade Kirchengeschichte: 
„Ich sehe meine neue Verantwortung und die neuen Möglichkeiten; und ebenso den historischen Moment in der Kirche vorwärts zu gehen und Teil der Kirchengeschichte zu sein“.
Als Deutscher kennt man das ja: kräftige ältere Herren und der Mantel der „Gechichte“.

Nicht viel Zeit hat man als historische Persönlichkeit wohl für die Lektüre und dann hapert es leicht einmal beim Auswendiglernen päpstlicher Lehrschreiben, wie man an dem folgenden Papst-Zitat sieht: 
„Ich will lieber eine Kirche, die verbeult, verletzt und schmutzig ist, weil sie draußen in den Straßen war, statt einer Kirche, die sehr rein ist und die Wahrheit hat und alles, was notwendig ist. Denn die letztere Kirche hilft den Menschen nicht.“ 
Das ist freilich – Sie, liebe Leser, haben es längst bemerkt - nur zur Hälfte aus „Evangelii Gaudium“; den zweiten Teil hat sich der Kardinal offensichtlich selbst zusammengereimt und es ist dann auch danach.

Wozu sollte denn jemand für diese Kirche „draußen in die Straßen gehen“, wenn sie nicht die Wahrheit hat, die reine Wahrheit des Glaubens und der Sitten und alles andere, „was notwendig ist“ (etwa die Gnadenmittel der Sakramente)? Mit was soll sie denn den Menschen helfen, wenn nicht mit dieser existentiell notwendigen Wahrheit und der Begegnung mit dem, der diese Wahrheit in seiner Kirche ist? Was da konstruiert wird, ist ein gruselig falscher Gegensatz: hier die Kirche, die sich in ihrer Wahrheit verschließt, dort die Kirche, die „im echten Leben“ den Menschen hilft. Anders herum wird ein Schuh daraus: in der Kirche ist „das echte Leben“: der Herr, der die Wahrheit ist und seine Gnade. Nur eine Kirche, die darum weiß, kann „nach draußen“ gehen und die Menschen einladen, „nach drinnen“ zu kommen, um teilzunehmen an diesem wahren Leben.

Natürlich gibt es in der Kirche auch Streit und dann entsteht vielleicht das Bild einer mit sich selbst beschäftigten und in sich abgeschlossenen Institution. Kein schönes und attraktives Bild, in der Tat. Aber seit dem Jerusalemer Apostelkonzil wissen wir, dass Streit in der Kirche auch notwendig sein kann, um zu größerer Klarheit bezüglich der eigenen Wirklichkeit und Sendung zu kommen. Denn immer wieder wird diese Wirklichkeit und Sendung verdunkelt von Leuten, die der Wahrheit der „kleinen Herde“ aus dem Weg gehen wollen und ihrem Traum von einer mächtigen Institution nachhängen:
„Das Zweite Vatikanische Konzil begann eine neue Balance zwischen der Zentrale und den lokalen Kirchen zu etablieren, denn sie [die Konzilsväter] sahen, vor 50 Jahren, den Anfang der universalen Kirche. Es ist aber noch nicht erreicht. Wir müssen es zum ersten Mal Wirklichkeit werden lassen. Nun, 50 Jahre später, sehen wir, was es bedeuten könnte, eine universale Kirche in einer globalisierten Welt zu sein, eine universale, globalisierte Kirche. Wir haben das noch nicht in ausreichender Weise organisiert. Das ist die große Aufgabe für dieses Jahrhundert“.
 Man muss das mehrmals lesen: Die wesentliche Aufgabe (theologisch: Sendung) der Kirche im 21. Jahrhundert besteht nicht in der Verkündigung des Evangeliums, der Spendung der Sakramente oder den Werken der Nächstenliebe, sondern - in der Errichtung einer globalisierten Organisation mit einer „guten Balance zwischen Zentrale und Ortskirche“. Ein McKinsey-Berater könnte es schöner nicht sagen. 

Wer nun meint, es ginge nicht schlimmer, dem kann geholfen werden: 
„Eine der Hauptaufgaben eines Bischofs und eines Papstes ist es, Menschen zusammenzubringen und die Welt zu einen. Die Kirche ist instrumentum unitatis, ein Instrument und Sakrament der Einheit zwischen den Menschen und zwischen Gott und den Menschen. Ich hoffe, dass wenn der Papst die Vereinigten Staaten – und vielleicht die Vereinten Nationen – besucht, die Kirche der Welt zeigen kann, dass sie ein Werkzeug ist nicht für sich selbst, sondern für die Einheit der Nation und der Welt“.
So schön und bescheiden das „nicht für sich selbst“ auf den ersten Blick klingen mag: die Kirche kann der Welt nicht dienen, ohne diese Welt gleichzeitig maximal zu provozieren. Denn Zeichen der Einheit der Welt wird sie, indem die Welt ihre eigentliche Bestimmung erkennt und Kirche wird: „Sie war schon seit dem Anfang der Welt vorausbedeutet; in der Geschichte des Volkes Israel und im Alten Bund wurde sie auf wunderbare Weise vorbereitet, in den letzten Zeiten gestiftet, durch die Ausgießung des Heiligen Geistes offenbart, und am Ende der Weltzeiten wird sie in Herrlichkeit vollendet werden. Dann werden, wie bei den heiligen Vätern zu lesen ist, alle Gerechten von Adam an, vom gerechten Abel bis zum letzten Erwählten, in der allumfassenden Kirche beim Vater versammelt werden“ (Lumen Gentium 2).

Wer meint, die Kirche könne den Menschen anders helfen, als ganz sie selbst, Hüterin der geoffenbarten Wahrheit und Ort der Begegnung mit dieser Wahrheit, zu sein; wer meint, die Sendung der Kirche im 21. Jahrhundert bestünde darin, sich global zu organisieren; wer meint, die Kirche sei „Werkzeug der Einheit der Menschheit“ im Sinne der Vereinten Nationen, dessen Kirchenverständnis weist erschreckende Defizite auf.

Nun höre ich den einen oder anderen sagen: So kann man über einen Kardinal der Römischen Kirche nicht sprechen. Das ist zweifellos wahr. Die Lösung dieses Problems könnte sein, dass Reinhard Marx sich von den kirchlichen Ämtern trennt, die er in den letzten Jahren gesammelt hat wie einst englische Großwildjäger ihre Trophäen. Ich freue mich schon, ihm „draußen auf der Straße“ zu begegnen: verbeult, verletzt und schmutzig – aber froh und zufrieden, den Menschen zu helfen, indem er ihnen die Schätze der Kirche aufschließt.

5 Kommentare:

  1. Lieber Theodor,

    Guten Morgen,
    und besten Dank für Ihren klaren Blick.
    Beim Lesen des Interviews kam mir untenstehendes Zitat in den Sinn.
    Here we go:-)

    "I did never know so full a voice issue from so empty a heart.But the saying is true:"The empty vessel makes the greatest sound."
    Henry V. Act 4,Scene 4 William Shakespeare

    See you,Marina

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  2. Danke für den Artikel. Ich habe schon langsam aufgehört, mich über seine "wichtigen" Interviews und vor allem wg. seiner Wichtigtuerei zu ärgern. Ich verstehe wirklich nicht, was mit ihm passiert ist in den letzten Jahren. München steht ja nun nicht in dem Ruf, Menschen negativ zu verändern. Und am Holnstein-Palais kanns auch nicht liegen, denn seine Vorgänger sind ja nun auch nicht mit übermäßigem Größenwahn aufgefallen. Letztens ließen die MKN sogar mal verlauten, dass der Papst auf ihn hört, weil er so viel Geld einbringt ... Wenn man aber dann sieht, dass vieles, was von Rom aus organisiert wird, nicht mehr in Deutsch vermittelt hat. (z.B. news.va oder jetzt die Broschüren zur Neuevangelisierung, Live-Übertragungen von GA oder Angelus via YouTube funktioniert nicht in D, usw.), scheint der Einfluss ja eher marginal zu sein .. Man kann also das ganze nicht so richtig ernst nehmen.

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    1. Na ja, ernst nehmen muss man ihn schon: er ist immerhin der große Zampano in Deutschland und eine "Marginalisierung" auf weltkirchlicher Ebene kann ich bisher auch nicht feststellen. Ich fürchte, dass er bei der Synode schon eine Rolle spielen wird ...

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    2. Ich denke nicht, dass er in Rom viel reißen wird. Diese ganzen Auftritte in den letzten Wochen sehen für mich schon sehr nach Wichtigtuerei aus. Er wird immer opportunistischer, um in Rom wahrgenommen zu werden, während in München die Leute aus der Kirche wegbleiben.

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  3. "Eine der Hauptaufgaben eines Bischofs und eines Papstes ist es, Menschen zusammenzubringen und die Welt zu einen."

    Dann hat Markus im 16. Kapitel Vers 15 ja einen Schmarrn geschrieben. Jetzt wissen wir wie es richtig heißt: Geht hinaus in die ganze Welt, bringt die Menschen zusammen, kommt aber erst wieder wenn ihr sie geeint habt. Oder so ähnlich. Mann das kann dauern.

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